Spätestens seit dem beeindruckenden City of God-Film kennt wohl jeder die Favelas (Slums, Armenviertel) von Rio. Lange habe ich überlegt, ob ich auch eine besichtige.
Doch die Favelas gehören zu Rio wie die Reeperbahn zu Hamburg und würde man sich auf die reichen Gegenden wie Copacabana und Ipanema beschränken, hätte man das wahre Rio nicht gesehen.
Ich mag ja eigentlich keine geführten Touren, aber um wieder heile rauszukommen, geht es in den Favelas nicht ohne. Ein paar Unterschiede gibt es dann aber doch und so habe ich drauf geachtet keine dieser Bustouren zu buchen, wo man wie im Menschenzoo einmal durchfährt, sondern zu Fuß unterwegs ist. Der Bus mit dem wir abgeholt wurden gehört sogar zur Favela. Ein paar Regeln gibt es natürlich auch zu beachten. Die wichtigste: der Guide sagt wann Fotos gemacht werden dürfen und wann nicht. Der Guide heißt übrigens Bruno und hat auch schon in Hamburg gelebt um in den Fliegenden Bauten aufzutreten und nächstes Jahr hat er eine Audition für König der Löwen. Wie klein die Welt doch ist. Bruno hat allerdings auch schon als Lehrer an einer der Schulen in der Favela ehrenamtlich gearbeitet, kennt die Favela also bestens.
Die Favela, die wir besichtigen, ist die größte der Stadt und auch ziemlich bekannt, Rocinha heißt sie. Hier werden schon mal viele Fragen geklärt. Rocinha zählt zu den wenigen Favelas, die man besichtigen kann und somit auch zu den sichereren. Es wirkte eher wie ein ärmeres Stadtviertel irgendwo in Spanien (die vielen engen, labyrinthartigen Gassen, die Bauweise). Es gibt gewiss gefährlichere, heruntergekommenere und schlechter ausgestattete Favelas. Da ich diese nicht besichtigt habe, kann ich zu denen nichts sagen. Dafür hier ein paar Fakten zu Rocinha, damit ihr euch darunter etwas vorstellen könnt.
– 250.000 – 400.000 Bewohner (die Zahlen schwanken, offizielle Zählungen gibt es nicht) hat Rocinha
– 75% der Cariocas (Einwohner in Rio) leben in Favelas, die Zahl kann ich aber nicht ganz glauben angesichts der Größe von Rio. Es gibt zwar hunderte Favelas, aber natürlich auch viele normale Häuser
– als krassen Gegensatz gibt es direkt vor den Toren Rocinhas eine Privatschule, die 8000 US-Dollar im Monat kostet, streng bewacht und mit hohen Mauern versehen
– Wasser, Strom und Internet (wi-fi) ist umsonst (man muss nur ein Kabel kaufen), weshalb manche Bewohner auch gern dort wohnen. Und manche haben sogar Flachbildfernseher …
– es gibt 3 Schulen, das ist natürlich viel zu wenig für die vielen Kinder, weshalb es verschiedene Zeiten gibt: frühs kleine Kinder, nachmittags größere Kinder, abends Erwachsene
– Samstag ist ein anderer wichtiger Termin: die Sambaschule
– die Favela hat ganz viele kleine, verwinkelte Gassen, die aber auch eher Treppen darstellen, da am Hang gelegen. Es gibt nur eine richtige Straße, dort liegen die Geschäfte. Frisöre, Lebensmittelläden, Kiosks, Restaurants, usw. Zum Date trifft man sich bei Bob’s, einer Burgerkette.
– Da es nur eine Straße gibt, gibt es auch keine Adressen zu den meisten Häusern. Wer also Post empfangen möchte, lässt sie sich an einen der Läden schicken. Die sammeln diese in einem Korb und man holt sie sich dann einmal im Monat ab. Warum nicht öfter? Für den Dienst lässt man sich gern mit einem Real bezahlen (etwa 40 Cent). Bei Amazon bestellt dort gewiss keiner ;).
So eine Favela ist zwar grundsätzlich ein Armenviertel, aber es leben dort auch viele Menschen, die sich eine Wohnung in der Stadt nicht leisten können. So arbeiten sie tagsüber in der Stadt und abends gehen sie in ihre Favela.
Und nur die glücklichen, die eine Bildung erhalten, haben die Chance auf eine richtige Arbeit. Andere verdienen sich ihr Geld in den Favelas. Z. B. als Motorrad-Taxi-Fahrer. Die sind alle registriert (die Fahrer tragen eine Weste) und sie müssen dafür 8 Real pro Tag an die Mafiabosse abtreten. Da die Favelas alle auf einem Berg liegen, nehmen viele Bewohner den Dienst gern in Anspruch.
Im übrigen sind alle Motorräder und Autos, die in den Favelas fahren, geklaut. Weshalb man auch keine Fotos von den Straßen machen kann (es fahren permanent Motoradtaxis rum, es sind hunderte pro Favela). Auch keine von Personen oder von den Dächern (außer an einem erlaubten Punkt). Es könnte ein Drogenboss drunter sein.
Die Straßen und Gassen sind so steil und beschwerlich, dass die Häuser weiter oben günstiger sind als die unten am Berg. Und die Gassen so verwinkelt dass man sich als Fremder hoffnungslos verlaufen würde.
Der Wohnraum ist knapp geworden. Weiter nach draußen kann nicht mehr gebaut werden, also baut man nach oben. Die Häuser waren eigentlich nur einstöckig, später baute man einfach noch einen Stock obendrauf. Und noch einen und manchmal noch einen. Um ins Haus zu kommen muss man teilweise ganz schön klettern, denn einen Lift gibt es selbstverständlich nicht und von draußen auch kein Platz für eine Treppe, denn die Gassen sind so schon schmal genug. Also muss man teilweise über das Nachbarhaus ins eigene Haus (durchs Fenster) klettern. Diese Bauweise berherbergt noch ein weiteres Problem: die Häuser auf dem Grund wurden nicht dafür gebaut, dass sie noch stärker bebaut wurden. So sind schon Häuser unter der Last zusammengebrochen.
Fußball ist auch hier sehr beliebt. Überall gibt es Graffiti zum Thema Fußball (und den Worldcups) und der Fußball birgt auch Chancen. Es sind schon einige berühmte Fußballer aus Favelas hervorgegangen, auch aus Rocinha. Die Namen hab ich aber schon wieder vergessen, sorry.
Alles in allem bin ich mit gemischten Gefühlen nach Hause gegangen. Es war beeindruckend so eine Favela einmal live zu sehen. Insgesamt wirkte die Favela aber schon fast zu normal. Klar die Häuser sind klein und ärmlich, aber wirklich gefährlich wirkte der Ort nicht. Bis auf die 2, 3 Typen, die mit Maschinengewehr auf einem Motorradtaxi die Straße hochgeheizt sind. Wären die nicht gewesen hätte es auch irgendein spanisches Dorf sein können. Doch nur eine Touristenfavela? Oder übertreiben die Medien? Oder hat sich gar tatsächlich etwas in Rio getan? Oder war die Zeit einfach zu kurz? Man erfährt es wohl nur wenn man sich tatsächlich ohne Guide in die Höhle des Löwen begibt, aber keine Sorge, das wird so schnell nicht passieren.
Zu den Fotos (alle Rio Fotos zusammen).
wie schön, jetzt kann ich auch was von dort hören, wo ich nicht hinkomme!
viel spass und gut licht 😉
hehe ja, danke klys!
heut hatte ich auch gut licht :).
Sehr schön dass du dir so viel Zeit für Bilder und Berichte nimmst! Eigentlich wünsch ich dir dass das weniger wird und du die Reise noch mehr erleben kannst 🙂 Wenn nicht freuen sich sicher alle! Viele Grüße aus Bayreuth! Micha
ich verspreche dir dass das weniger wird. im moment hab ich noch die zeit und motivation zu :D. in der nächsten zeit wechsel ich auch die orte häufiger und so bleibt weniger zeit für die dokumentation ;).
sehr schön, und sehr interessant! 🙂 besonders die wohn- und stromsituation. aus welchem material wurde eigentlich das kleid gemacht? achso … jetzt erkenne ichs … sind das getränkedosenöffner? 😀 achso, und mir war, als hätten die irgendwann mal angefangen, um diese favelas ne mauer zu bauen, wegen der fußball-wm … davon was mitbekommen? und mich würde immer noch interessieren, unter welchen umständen man da erschossen wird … o.O
ja, genau das sind so teile von den dosen.in dem laden hatten sie nur sachen, die recycelt wurden. auch die minifavela.
nee, keine mauer. aber die regierung tut schon auch was dafür dass die leute in den favelas bleiben, wie eben diese neuen häuser zu bauen (die ich auch fotografiert habe).
es ist wirklich viel weniger gefährlich als man denkt. die leute in den favelas wollen auch keinen stress mit irgendwem weil sie dann stress mit der polizei kriegen. drum gibts in den favelas selbst keine gewalt. die banken dort sind die einzigsten, die nicht ausgeraubt werden ;).
ich hab bruno nochmal gefragt was ist, wenn man einfach so als tourist reinspaziert. er meinte, er würde das nicht in jeder favela tun, aber in rocinha wäre das ok. es passiert einem nix, solange man nicht die falschen orte fotografiert. und selbst da wird einem eher nur der fotoapparat abgenommen. als er dort in den schulen gearbeitet hat, hatte er sich auch paar mal verlaufen, kein problem.
ich glaub man wird nur erschossen wenn man irgendwas mit drogen zu tun hat und mit den falschen leuten verkehrt ;).
ah, dann ist ja gut. 😉
na die mauer ging auch eher außen herum richtung wald/dschungel, damit sich das nicht weiter ausbreitet. aber deswegen wahrscheinlich auch die vertikale bauweise. 😀
achso, und die häuser werden für die wm nur bunt angemalt, damit es schöner aussieht, so wars. 😉
hm bei der favela, die ich besichtigt habe war die begrenzung die straße (also eine normale straße durch rio, man fährt also am fuße der favela in eine sehr teure wohngegend) und der berg/wald. hab keine mauer gesehn.
hehe, nee, aber ein paar der fußballgraffiti sind nur wegen der letzten wm entstanden. wenn dort die wm stadtfindet, will ich lieber nicht dort sein. das muss die hölle auf erden sein :D.